5 Dinge, die wir aus der kurzen Zeit von Elon Musk als Twitter-CEO lernen können
Kaum war er da, will er schon wieder weg: Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die wir aus der kurzen Zeit von Elon Musk als Twitter-CEO mitnehmen können?
1. Twitter ist aktuell leider kaum ersetzbar
Ich habe in meinem Artikel “Twitter ist tot, lang lebe Twitter” ausführlich dargelegt, warum Twitter meiner Meinung nach als soziales Netzwerk aktuell (noch immer) einmalig und als solches wohl auf einige Zeit unersetzbar bleibt: Die Kurzfassung davon ist, dass kein anderes Netzwerk einem “Digital Town Square” nahekommt, einem öffentlichen Marktplatz, auf dem ein globaler und offener Diskurs stattfinden kann. So lange kein anderes, asymmetrisches und per Default auf Öffentlichkeit setzendes Netzwerk eine ähnliche Masse an Menschen erreichen kann, ist Twitter de facto der digitale, globale Ort, an dem öffentliche Debatten stattfinden.
Wenn Elon Musks kurzes Intermezzo als Twitter-CEO etwas unterstreicht, dann exakt das. Es gibt keine andere Plattform auf der Welt, auf der eine Horde von Journalisten, Politikern, Celebrities, Intellektuellen und Influencern (man will fast sagen: alle) so extrem genau beobachtet, was passiert, auf der jede kleine Regeländerungen entsetzte und tagelange Aufschreie von allen Usern erzeugt, die sich dann auch noch in die Headlines aller großen Zeitungen und Magazine fortsetzt. Überspitzt ausgedrückt: Wenn heute auf Twitter ein Button die Farbe ändert, dann fragen morgen 50% der einflussreichsten Polit-Magazine besorgt, ob dadurch vielleicht die Demokratie in Gefahr sein könnte.
Das kommt nicht von ungefähr: Alle Leute, die Twitter nutzen (und es sind in der Regel diejenigen, die “Meinungen machen”) wissen genau, was sie an der Plattform haben und dass sie nicht so leicht ersetzbar ist. Das erklärt auch, warum die Allermeisten dieser User und Unternehmen die Plattform trotz monatelanger Drohungen immer noch nicht verlassen haben. Es gibt leider keine ernsthafte Alternative zu unserem digitalen Marktplatz und wer jetzt “Mastodon” sagt, der belügt sich selbst.
Twitter ist aktuell fast gleichzusetzen mit dem Diskurs. Das ist nicht unbedingt ein idealer Zustand, ganz im Gegenteil, aber es hilft auch nicht, ihn zu leugnen.
2. Pläne und Ideen sind nett, aber konsequente Umsetzung ist 95% des Erfolgs
Wenn man Elon Musk, dem Twitter-CEO, nach diesen sechs Wochen irgendetwas raten wollte, dann wäre es wohl: “Zieh doch wenigstens irgendwas mal durch, Junge!”
Die Art und Weise, wie Twitter seit Ende Oktober geführt wurde, kann nicht anders beschrieben werden als ein permanentes Vor- und Zurück, ein ständiges vorsichtiges und zögerliches Herantasten und ständiges Neu-Ausrichten an den darauf erfolgten Reaktionen bei keinerlei erkennbarer Strategie, kurz: Ein unterträgliches Herumeiern.
Wenn ich als Elternteil so mein Kind erziehen würde, wie Elon Musk in den letzten Wochen Twitter geführt hat, hätte ich schon nach wenigen Wochen meine Autorität vollständig und unwiderruflich untergraben: Er führte nicht nur völlig willkürlich Regeländerungen ein, die keiner kohärenten Strategie folgten, sondern vielmehr auch noch aus seinen eigenen Bedürfnissen entsprungen zu sein schienen. Aber mehr noch: Er hatte in fast allen Fällen (Twitter Blue, das Verlinken anderer Social Networks, Doxxing von Adressen, Amnestie von allen Accounts) dann noch nichtmal die Eier, seine eigenen arbiträren Regeländerungen ernsthaft durchzuziehen, sondern zog die Pläne jeweils nach dem ersten Widerstand der Community direkt wieder zurück, aber auch das nur teilweise, versuchte er es erneut mit weichgespülten Versionen, zog wieder zurück und so weiter.
Egal wie seltsam und unsinnig eine Regel ist, die man einführt, es ist immer noch besser, sie wenigstens vorläufig aus dem Grunde aufrecht zu erhalten, die eigene Ernsthaftigkeit in Bezug auf erwartbares Handeln und Prinzipientreue generell zu unterstreichen. Pläne und Ideen sind nett, aber ein fortlaufendes Herumeiern bei der Umsetzung führt schnell dazu, dass sogar die eigenen Freunde Witze über einen machen.
Und selbstverständlich dauerte es so in der Folge auch nicht lange, bis ihn keiner mehr ernst nahm und jeder jede Regel bis zur Grenze austestetet und überschritt. Konsequenzen waren selten und noch seltener von dauerhafter Natur. Und wenn nicht, dann ändern sich die Regeln bestimmt schon morgen wieder. So erschafft man eine Bananenrepublik.
3. Cancel Culture befällt vielleicht jeden, der zu viel Macht hat
Elon Musk war als Twitter-CEO mit nicht weniger angetreten als dem selbstverliehenem Titel “Free Speech Absolutist”, der absolut jede Art von Inhalt erlauben wollte, die sich im rechtlichen Rahmen bewegt. Er endete knapp sechs Wochen später als der Typ, der mitten in der Nacht die Accounts zufälliger Journalisten von der Plattform bannt, die schlechte Witze über ihn getwittert hatten.
Die Entwicklung hätte nicht spektakulärer von der einen in die andere Richtung erfolgen können und kaum in atemberaubenderer Geschwindigkeit. Und dabei konnte er zu Beginn wirklich überzeugend darlegen, wie wichtig ihm Meinungsfreiheit als ideologisches Konzept war.
Jack Dorsey behauptet heute noch, dass er weiter für das gleiche Ziel, für absolute Meinungsfreiheit kämpfen will und bereut öffentlich, wohin sich Twitter entwickelt hat und war nichtsdestotrotz, wie wir zwischenzeitlich erfahren durften, mitverantwortlich für Deplatforming, Shadowbanning und mehr.
Vielleicht befällt einfach jeden, der als einzelne Person oder Teil einer Institution zu viel Macht hat, irgendwann das nicht mehr unterdrückbare Bedürfnis, seine Feinde einfach rauszukicken, zu muten, canceln, stummzuschalten. Wenn die Option ist immer nur ein paar Klicks und Entscheidungen entfernt ist, dann erscheint sie immer attraktiver. Es ist das klassische Dilemma von zu viel Macht oder von Legislative, Exekutive und Judikative in einer Hand.
Ich weiß, dass ich es definitiv tun würde. Und schon deswegen bin ich dagegen, dass es irgendjemand überhaupt können sollte. Social Networks sollten infrastrukturell so gebaut sein, dass überhaupt niemand permanent gebannt wird, keine einzelnen Instanzen solche Macht besitzen und stattdessen illegale Inhalte konsequent verfolgt werden. Wie eben im echten Leben auch. Niemand wird Dir jemals verbieten, die Straßen zu benutzen, aber wenn Du dort Nazi-Parolen rufst, dann holen wir Dich ab. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum.
4. Soziale Netzwerke sind digitale Infrastruktur und sollten als solche öffentlich-rechtlich werden
Stichwort Straßen: Eine gute Metapher. Soziale Netzwerke im allgemeinen und einige wenige Plattformen im Besonderen, sollten als Straßen gelten. Vielmehr sollten sie als digitale, öffentliche Infrastruktur betrachtet werden und als solche nicht blockbar, unterdrückbar oder abschaltbar sein. Das betrifft auch die Nutzer.
Wenn wir in diesem “Neuland” Internet noch viele Jahre friedlich zusammen leben, diskutieren und existieren wollen (und ich gehe davon aus, dass das ein gemeinsames Ziel sein könnte), dann wäre es vielleicht irgendwann an der Tagesordnung, ein gemeinsames Regelwerk für die Nutzung Sozialer Netzwerke festzulegen, das nicht davon ausgeht, dass irgendwelche Firmen, Institutionen oder gar Einzelpersonen bestimmen, ob Du morgen noch mitspielen darfst, ob vielleicht Deine Daten gelöscht werden und wie die zufälligen Regeln heute geändert werden, weil der CEO schlecht geschlafen hat.
Plattformen wie Twitter, Facebook, YouTube meinetwegen TikTok und Instagram, sind zu absolut zentralen Anlaufstellen unseren digitalen Lebens geworden. Viele von und leben dort. Und wie Straßen müssen sie auf eine Weise reguliert werden, die es privaten Interessen, Konzerninteressen, Interessen von Investoren mindestens auf einige Arten verbietet, willkürlich mit ihnen umzugehen. Wir sollten nicht Social Networks verstaatlichen (obwohl…), aber vielleicht auf einer technischen Ebene Vorraussetzungen schaffen, die eine robuste Unzensierbarkeit und Stabilität dieser Netzwerke garantieren. Vielleicht sollten User und die Vernetzung eher ein Protokoll werden, wie Jack Dorsey es formuliert. Niemand kann Dich von der Nutzung von e-Mail bannen.
5. Sogar der reichste Mann der Welt ist ein zutiefst unsicherer Typ, der auf soziale Anerkennung mehr als alles andere fixiert ist (worüber machst DU Dir also Sorgen?!)
Das Erschreckendste, das man bei Elon Musk in den letzten sechs Wochen in jedem einzelnen Tweet erkennen konnte, ist der gradezu verzweifelte Drang nach Anerkennung, mehr noch, nach Validation durch seine Mitmenschen, Validation durch die Leute, zu denen er aufblickt (man könnte einen eigenen Artikel darüber schreiben, dass das vor allem amerikanische Mainstream-Kultur-Insassen wie Kayne West, Stephen King, diverse rechtslastige Internet-Memer oder Bitcoin-Bros sind) und die Tatsache, dass er sie nirgendwo bekommt.
Der Milliardär, der täglich wie ein unsicherer Troll in Twitter-Replies und Kommentaren im Internet um Anerkennung bettelt, der sich ständig zu erklären versucht, der oft genug rüpelhafte Witze macht, um sich nach der nächsten Blamage wieder freizukämpfen und sich wenigstens kurz im Applaus (seiner Fanboys) zu sonnen und dann ständig doch wieder jedem auch nur im geringsten relevanten User seine Zuneigung erklärt, sobald er den kleinsten Widerstand erfährt: Schon das ein ein erstaunliches Schauspiel über Unsicherheit und Fragilität.
Aber es geht noch weit darüber hinaus: Jede einzelne seiner Entscheidungen versucht er durch permanente Nutzer-Abstimmungen, durch den “Willen des Volkes” zu erklären. Elon Musik wirkt als Person ultimativ abhängig von externer Validierung, von Bestätigung und Anerkennung von random Kommentaren in seinen Tweets, der Anzahl der Likes, der Liebe irgendwelcher Prominenter, die ihm per Reply bestätigen sollen, wie genial er ist, den Ergebnissen von Umfragen. Wenn er ausgebuht wird, wie in dem Fall seines Auftritts mit dem Komiker Dave Chappelle, dann muss er anschließend (zur Vollendung der Peinlichkeit) noch einmal öffentlich erklären, dass es ja nur “10% Boos” gewesen seien und das in dem Video durch die schlechte Akustik schwer zu hören wäre. Soziale Ablehnung ist sein absoluter Endgegner.
Man könnte fast Mitleid mit diesem Mann haben, der ultimativ von der Anerkennung seiner Mitmenschen getrieben wird, der keinerlei Freunde zu haben scheint, den ganzen Tag “arbeitet” (rumrennt, wirre Entscheidungen fällt und dann öffentlich verkündet, die ihm Applaus bringen sollen) und in seinen Interaktionen so desperate rüberkommt, dass es schon fast weh tut.
Dann fällt einem wieder ein, dass Elon Musk hunderte Milliarden Euro schwer, der reichste Mann der Welt ist und mit Rechten mehr als nur kuschelt und man kann für sich selbst wenigsten mitnehmen, dass man, wenn es sogar diesem Typen so geht, ja vielleicht ab und zu etwas mehr Selbstbewusstsein zeigen und an seine Fähigkeiten glauben könnte. So schlimm wie bei ihm ist es sicherlich nicht und das ist ja auch ein beruhigender Gedanke.