State of the Debate: AI Kunst und ihre Folgen.
AI Kunst wird Mainstream, immer schwerer zu erkennen und einen festen Platz in der Kreation einnehmen. Sind wir dafür schon bereit?
Im Hause Baumer arbeiten wir schon lange hybrid: Zwischen Digitaler Kunst, von AI-Programmen generiertem Bildmaterial, Photoshop, Procreate und handgemalten Bildern sind meine Freundin Ånn (die Illustratorin) und ich (der Künstler und Art Director) schon seit einigen Monaten dazu übergegangen, einfach alles als “Mixed Media” zu betrachten und auch entsprechend in verschiedenen Medien damit zu arbeiten.
Wir zeichnen per Hand, ich füttere die Bilder in eine AI und lassen Serien daraus machen, es werden Outpaintings unserer eigenen Arbeiten mit Dall•E erstellt, wir zeichnen, collagieren und illustrieren zunehmend zwischen allen drei Welten: Per Hand, am iPad und wir nutzen AI Tools zur Ideenfindung, für die Generation von Hintergründen, als Fundament für weitere Handarbeit.
Die Frau malt Orangen in Aquarell, ich werde sie in eine KI füttern und vermutlich noch mehr Obst daraus erstellen. Selbst ein eigenes Model mit meiner Portrait-Photographie habe ich schon so trainiert, dass ich Instant meine eigenen surrealen Portraitphotos imitieren und in endloser Zahl mit virtuellen Models generieren kann. Es funktioniert im Wesentlichen bereits reibungslos, in diversen Tests konnte die Mehrheit meiner Bekannten zumindest auf den ersten Blick kaum mehr unterscheiden zwischen echter Photographie und dem, was ich mit der AI gemacht hatte. Und dabei steht die Technologie noch am Anfang.
Original-Illustration (links) und digitales Outpainting als Collage aus verschiedenen Varianten (rechts)
Die öffentliche Debatte ist, sehr vorsichtig ausgedrückt, noch nicht ganz so weit. Dabei scheint es unumgänglich, dass wir uns dringend und differenziert mit dieser neuen Technologie auseinandersetzen, denn sie wird sicher nicht mehr verschwinden. Dafür ist sie zu umwälzend.
Zwischen eher cringe-inducing Like-Farm-Anwendungen a la “Spider Man als Pixar Character” oder den unvermeidlichen NFT-Bros, die schnelles Geld wittern, auf der einen und irrationalen Behauptungen, AI würde quasi durch Copy & Paste die Kunst von “echten Künstlern” klauen durch die Digital Art Community, die sich zunehmend in ihrer Existenz bedroht sieht, passt aktuell wenig in eine ernsthafte Debatte. Es stehen sich zwei Seiten gegenüber, die beide irrational und lediglich aus ihrer eigenen, eingeschränken Sicht argumentieren und handeln.
Dabei wäre dieser Diskurs äußerst wichtig, da wir es mit der potentiell revolutionärsten Technologie des letzten Jahrzehnts zu tun haben. Und sie entwickelt sich rasant schnell. Midjourney ist bereits in Version 4 und hat in wenigen Monaten eine Entwicklung vom kruden Bildergenerator mit eindeutig identifizierbaren visuellen Seltsamkeiten zum perfekten Computerprogramm hingelegt, das von 3D Arbeiten bis photorealistischen Bildern mit etwas Übung alles nahezu perfekt erstellt, das ein User mit etwas Phantasie eintippt.
Die Bedeutung dieser Tools wie Dall•E2, Midjourney oder der Open Source-Variante “Stable Diffusion” ist nicht unterschätzbar: Ganze Branchen werden in den nächsten Jahren durch AI ersetzt werden und zwar längst nicht nur auf visueller Ebene. Dabei ist es nicht ohne Komik, dass die Intellektuellen und Experten jahrelang fest davon ausgingen, dass die KI-Revolution “niedere Tätigkeiten” zuerst überflüssig machen würde und es nun anscheinend ausgerechnet hochgeistige Tätigkeiten wie Schreiben, Kunst und Photographie zuerst erwischt. Der Mensch hat sich hier offenbar deutlich selbst überschätzt.
Um ein düsteres Bild der Zukunft zu zeichnen: Bei der Geschwindigkeit der Entwicklung werden Photostudios in ein paar Jahren eher ein nostalgisches Ding sein, vielleicht ersetzen wir auch ganze Redaktionen und Content-Schmieden mit einzelnen Kreativen, die den ganzen Tag die Maschine mit Input füttern und den Output kuratieren. Das ist nicht so futuristisch, wie es klingt: Bereits jetzt gewinnt die KI locker Kunstwettbewerbe und schreibt perfekte Aufsätze und Artikel, die lediglich inhaltlich noch ein bisschen schief sind. Diese Kinderkrankheiten werden allerdings schnell besiegt werden. Sogar das Training von eigenen Models kann inzwischen über hochpopuläre Apps wie Lensa von jedem Laien betrieben werden, um Fantasy-Selfies zu generieren. Zu einem Zeitpunkt vor einigen Wochen waren 8 von 10 der populärsten Apps im iOS-App Store AI-getriebene Bildergeneratoren. Die Technologie ist im Mainstream angekommen, auch wenn das vielleicht noch nicht jedem ganz klar ist.
Wie gehen wir also damit um? Akzeptieren wir AI Kunst und hybride Kunst als “echte Kunst” oder ist das ganze Argument mit der “Seele” sowieso eine reine Scheindebatte, weil die Formen bald nicht mehr unterscheidbar sind? Kann man diese Entwicklung mit der Entdeckung der Photographie vergleichen, die auch “auf Knopfdruck” Bilder produziert und zunächst ähnlich hart abgelehnt wurde? Was machen Kreative, wenn sehr bald jeder mit einem Browser ihre Tätigkeit mit ein paar Klicks besser ausführen kann als sie mit jahrelangem Training? Ist es daher überhaupt ethisch, solche Tools zu nutzen oder sollten vielleicht sogar die Inhaber der Trainingsdaten vergütet werden, wann immer jemand ihren Namen in einen Prompt tippt oder das Programm auf ihre Vorlagen zugreift? Und wer ist überhaupt der Urheber eines AI-Bildes (viele Tools übertragen dem Nutzer diese Rechter - aber haben sie sie überhaupt)?
Es gibt eine Million ungeklärter rechtlicher, sozioökonomischer, ethischer Fragen, was AI Kunst (und Photographie, Text, 3D Objekte, neuerdings auch Musik und kurze Filmsequenzen) angeht. Wenn wir nicht bald anfangen, sie ernsthaft zu diskutieren über “AI Art Bad” und “Darth Vader funny pic eating at McDonalds” hinaus, dann ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass die Realität einfach Tatsachen schafft, die dann nicht mehr debattierbar sind. Wir sind schon fast da.